Transzendenz

Transzendenz heißt in diesem Zusammenhang, daß die Identifikation mit einem bestimmten Selbstkonzept oder Bewusstseinsinhalt zugunsten seiner weiteren komplexeren Organisationsstruktur aufgegeben wird. Frühere Identifikationen werden nicht verworfen, sondern in eine weitere Sichtweite aufgenommen. Auf höheren Ebenen kann dieser Prozess der Disidentifikation eine transzendierende, ich-haftende Identität sein, definiert durch Besitztum, soziale Rollen, Beziehungen oder Leistungen, wie auch ein Erwachen zu einem transpersonalen Selbstgefühl, welches diese Definition einbezieht, aber keiner ausschließlich verhaftet ist.

Wenn die Identität nicht mehr aus einem als Objekt definierten Selbst abgeleitet wird, kann das wesenhafte Nicht-Sein (nothingness) des Selbst als Zeuge oder Beobachter erkannt werden. Meist ist diese Erkenntnis mit einer Verringerung des Narzismus verbunden, nämlich einem abgeschwächten Interesse am Selbstbild.

Bleibt dieser Prozess unvollendet, so kann andererseits ichhafte Befriedigung auf subtilerer Identifikationsebene gesucht werden, beispielsweise im Hervorkehren übersinnlicher Fähigkeiten. Der Transzendenz oder Disidentifikationsprozeß bringt eine unumgängliche Konfrontation mit existentieller Schuld und Angst angesichts von Tod und Isolation mit sich. Manchmal kann eine enge Begegnung mit dem Tod diese Stufe psychischen Wachstums plötzlich herbeiführen.

Um in diesem Prozess mit Menschen zu arbeiten, kann der Supervisor nicht mehr lediglich als Lehrer der wachen Selbst-Bewußtheit fungieren. Er wird zum Vermittler und Deuter der manchmal überwältigenden Wirklichkeiten der Existenz, denen man ohne Selbsttäuschung entgegentreten muß. Diese Konfrontation kann gleichermaßen erschreckend und befreiend sein. Die begrenzten Ziele der Problemlösung und Selbst-Akzeptanz können vertiefende Erfahrungen auf dieser Stufe beeinträchtigen.

Die Intensivierung des existentiellen Dilemmas ist nicht das Ergebnis einer bestimmten Technik, sondern eine kontinuierliche Erweiterung der direkten Erfahrung dessen, wer und was jeder wirklich ist. Die Zentrierung auf das Sein, im Gegensatz zum Tun, trägt zu zunehmender Loslösung von spezifischen Zielvorstellungen und Resultaten bei. Hier sind jene spirituellen Lehren, die auf das Festhalten und Anhaften als Quelle allen Leidens hinweisen, von Bedeutung. Die Disidentifikation vom Ego kann auf Befehl bewirkt werden, aber sie kann durch strukturierenden Übungen zur Erweckung eines transpersonalen Identitätsgefühls, unabhängig von wechselnden Emotionen, Gedanken, Rollen, Bildern und Eigenschaften gefördert werden.