Supervision ist Lernen durch Leitbildspiegelung

Glaubwürdigkeit und Authentizität der Supervisorin haben auf den Lernprozeß erheblichen Einfluß: Die Supervisorin wird zum persönlichen und manchmal auch zum beruflichen Leitbild, an dem sich der Supervisand orientieren kann. Leibildpsiegelung* meint das zum selbststimmigen Entwickeln schon angelegter schlummernder Fähigkeiten und Fertigkeiten, die bei einem anderen Menschen wahrgenommen werden. Diese Beziehungsdynamik ist für Entwicklung und Lernen die aus meiner Sicht tiefgreifendste und bedeutsamste Erfahrung.

"Das ist Leitbildspiegelung: Ich kommuniziere mit dem anderen in einem Bereich, der bereits einen reifen, zentralen Persönlichkeitsanteil in ihm bildet und dessen Entwicklung eben jetzt für mich angezeigt ist. Ich kommuniziere mit ihm - wie in einem Spiegel - weil ich seiner Persönlichkeit diesen Bereich, von dem ich bisher nichts oder wenig wusste, gespiegelt sehe. Das ist keine unverbindliche, bloß ästhetische Wahrnehmung, sondern das Gewahrwerden einer konkreten Entwicklung, die in mir bereits im Gange ist: Im Moment der Wahrnehmung ist der Partner mir bereits wirkendes Leitbild" (Schellenbaum 1986, 141).

Gute Supervisonsarbeit verlangt folglich vom Supervisor Persönlichkeits-, Beziehungs-, Berufs- und Feldkompetenz. Mit Persönlichkeitskompetenz meine ich dabei die Fähigkeit des Supervisors, all sein Wissen, Handeln und Fühlen als Person zu bündeln. Mit Beziehungskompetenz meine ich sein Wissen und Können, Beziehungen zu gestalten, zu reflektieren und für den Supervisionsprozess zu nutzen. Mit Berufskompetenz meine ich Wissen und Fertigkeiten in einem Berufsfeld. Mit Feldkompetenz meine ich Kenntnisse des Supervisors im Arbeitsfeld des Supervisanden oder gar berufliche Qualifikation im selben Arbeitsgebiet.

Für die berufliche Leitbildfunktion macht es einen großen Unterschied, ob ein Supervisor denselben Beruf ausübt wie der Supervisand, oder nicht. Nehmen wir als Beispiel die Supervision einer Lehrerin. Ist der Supervisor in seinem Grundberuf Psychotherapeut, wird er der Lehrerin helfen können, Kollegen, Schüler und Eltern in ihrer Persönlichkeit und in ihrem Kommunikations- oder Beziehungsverhalten zu erfassen, einzuschätzen und zu verstehen. Er wird mit ihr Haltungen und Handlungsalternativen entwickeln können. Wie das in der Handlungsfigur als Lehrerin und in das didaktische Handeln einfließen kann, das wird er ihr nur soweit vermitteln können, soweit er auch selbst Lehreridentität hat. Eine Lehrerin als Supervisorin kann mit ihrer eigenen Identität und Praxis als Lehrerin der Supervisandin ein berufliches Leitbild sein und wird ihr darüber hinaus auch mehr Know-how als Lehrerin vermitteln können.

So kann für eine bestimmte Zeit ein "fachfremder" Supervisor sehr wohl anregend und bereichernd supervidieren. Abhängig vom Stand der Identitätsentwicklung des Supervisanden sollte jedoch der Zeitpunkt beachtet werden, ab dem der Supervisand ausschließlich oder zusätzlich einen Supervisor braucht, der eine berufsspezifische Leitbildspiegelung leisten kann.