Lehren und Lernen

Am Schluß dieses Kapitels möchte ich Ihnen in einigen Gedanken das Grundverständnis zu Lehren und Lernen, das ich auch Supervision zugrunde lege, skizzieren:

In unserer Kultur verhalten sich Lehrende oft so, als müßten sie den Lernenden "etwas beibringen". Sie lehren nach einer inneren unbewußten Haltung, als wären sie es, die das Lernen bewerkstelligen. Ich denke, Menschen bringen sich das, was sie lernen, selber bei. Lehrer oder Lehrende sind nur Vermittler des Gelernten.

Ein weiterer Teil der oben genannten Ideologie ist der Haben-anspruch (Fromm 1976, 47). Danach verhalten wir uns so, als wäre Wissen etwas, was wir sammeln oder ansammeln könnten, oder als wären wir dann zu etwas befähigt, wenn wir viel Wissen hätten.

Viel Diskussionen über die Schwierigkeiten von Schule in unserer Gesellschaft rühren daher, dass die meisten Schüler in unserer Kultur in einem luftleeren, realitätsfernen Raum, ohne sich, andere und die Umgebung zu erleben und zu spüren, abgetrennt von ihrer körperlichen, geistigen und sozialen Realität Theorie lernen "müssen".

Es gibt viele Beispiele und Belege, das Lernen und Lehren anders funktionieren:

Wir lernen neugierig entdeckend, experimentierend und erforschend, ausgehend von innerer und äußerer Realität (Realität = Gegebenes = alles Spürbare, Greifbare, Erlebbare, was sich in uns und außerhalb von uns ereignet, sich uns aufdrängt, an was wir uns stoßen).

Die Rolle der Lehrenden ist die, Lernatmosphäre, Umgebung und Anreiz für Entwicklung zu schaffen, die biologischen, seelischen und sozialen Realitäten sowie die Entwicklungsbedürfnisse der Lernenden wahrzunehmen, auf sie einzugehen und sie zu fördern. Dabei lernen dann beide, Lehrende und Lernende.

Zu dieser These gibt es hoch interessante wissenschaftliche Untersuchungen aus der Hirnforschung und einschlägige Beispiele aus der Pädagogik und der Erwachsenenbildung.

"Der Begriff - Entdeckendes Lernen - kennzeichnet den Erwerb von Wissen, das eigenständig erworben wird, indem jemand aktiv seiner Neugier oder einer Anregung folgt und etwas ihm vorher Unbekanntes herausfindet" (Raeck 1987, 14).

Lehrende sind nach diesem Verständnis Vermittler von selbst gesteuerten Lernprozessen, von "tätiger Selbsterfahrung" (Hering & Hövel 1996, 24), von Selbst-ausdruck, von Selbst-bewußt-sein und Wissen.

"Wissen beginnt demnach mit der Zerstörung von Täuschungen, mit der Ent-täuschung, Wissen bedeutet, durch die Oberfläche zu den Wurzeln und damit zu den Ursachen vorzudringen, die Realität in ihrer Nacktheit zu "sehen". Wissen bedeutet nicht, im Besitz von Wahrheit zu sein, sondern durch die Oberfläche zu dringen und kritisch und tätig nach immer größerer Annäherung an die Wahrheit zu streben " (Fromm 1976, 48).

Nehmen Lehrende diesen Lernprozeß ernst, sind sie als Lehrende auch immer gleichzeitig Lernende. Lernende folgen ihren Entwicklungsbedürfnissen und -notwendigkeiten. Dort liegt ihr Interesse und Ihre Neugier. Lehrende unterstützen diese Prozesse und lernen dabei selbst.

Wir, als Kinder unserer Kultur, die wir nun einmal sind, müssen manchmal wieder das Lernen lernen. Wir dürfen - mit Sheldon Kopps Worten gesprochen - "die Hoffnung zerstören, dass etwas außer uns selbst unser Meister sein kann. Keiner ist größer als irgendwer sonst. Es gibt für Erwachsene keine Mütter und Väter, nur Schwestern und Brüder" (Kopp 1978, 163).

Wir begegnen vielen Menschen, Kindern und Erwachsenen, Brüder und Schwestern, von denen, oder treffender gesagt, durch die wir lernen können. Wir erfahren dabei auch, dass wir in der Begegnung mit Menschen unser Menschsein lernen.

Gerade Supervision ist eine Lernform, die den hier dargestellten Möglichkeiten und Werten sehr gut Rechnung tragen kann, deshalb bin ich von ihr begeistert.